Nach Abschluss des "Lockdown" – eine Perspektive aus der Schweiz mit Gabriela van Huisseling (auf Deutsch)

Wie Stephanie kürzlich in ihrem Englisch/Französisch Blog erläutert hat, werden wir oft in Fällen mit länderübergreifender juristischer Zuständigkeit konsultiert. Da ich selber für eine Zeitlang in Deutschland gelebt habe und während meiner beiden Auslandssemester Jura an der Albert-Ludwigs Freiburg studierte, und Catriona Deutsch an der Universität Wien studierte, sind wir besonders daran interessiert, wie unsere deutschsprachigen Freunde Familienrechtsfälle während des "Lockdown" handhaben. Welche Fortschritte bei Familienrechtsverhandlungen vor allem jetzt, mit den gegenwärtigen Lockerungen der Corona-Regeln, erreicht werden können und wie diese Veränderungen unsere Kunden mit Verbindungen in die Schweiz betreffen könnten, sind für uns von besonderem Interesse.

Wir sprachen mit Gabriela van Huisseling, Gründungsmitglied und Partnerin der Kanzlei  AH4 AG Family Law Experts im Zürich.

Wir haben ihr ein paar Fragen zu ihren Ansichten zu Lockdown gestellt und dies waren ihre Antworten:

Fragen:

1) Wie wurde der Kontakt zwischen Kindern und Eltern, die in getrennten Haushalten leben, beeinflusst?

Nach anfänglicher Unsicherheit darüber, ob Kontakte möglich und zulässig sind, erliess die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz KOKES im April 2020 eine Richtlinie, in welcher sie festhielt, dass Kontakte trotzdem weiterhin stattfinden sollen. Begründet wurde dies mit dem höheren Interesse des Kindes an angemessenen Kontakten zum Elternteil. Als Ausnahme wurde für Kontakte mit Auslandbezug festgehalten, dass alternative Kontaktmöglichkeiten (Skype etc.) zu suchen seien, wenn ein Grenzübertritt nicht möglich ist. https://www.kokes.ch/application/files/6615/8591/7658/KOKES_Corona_und_Besuchsrecht.pdf

2) Haben die Gerichte während der Corona-Krise neue Fälle aufgegriffen? Wenn ja, welche Maßnahmen wurden ergriffen, um das Gerichtsgeschäft während des “Lockdown” zu erleichtern?

Ja, der Gerichtsbetrieb wurde – wenn auch in der Anfangsphase des Lockdowns sehr eingeschränkt –weitergeführt. Von März bis Ende Mai 2020 wurden keine mündlichen Gerichtsverhandlungen durchgeführt. Seither wurden sie wieder aufgenommen. Dem föderalistischen Prinzip der Schweiz entsprechend haben alle Gerichte individuelle Schutzmassnahmen getroffen. In den meisten Gerichtssälen wurden Plexiglas-Trennwände installiert. Ebenfalls sehr unterschiedlich wurde die Möglichkeit von Video-Konferenzen gehandhabt. Die meisten Richter tun sich schwer damit. Verwiesen wird auf den mangelhaften Datenschutz.

Soviel ich weiss, ist derzeit eine Kommission des Zürcher Obergerichts und des Zürcher Anwaltsverbands daran, einheitliche, auch für die Zukunft geltende Richtlinien für Gerichtsverhandlungen per Video-Konferenz auszuarbeiten.

3) Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf den Schweizer Immobilienmarkt?

Meines Wissens wurde dieser, mindestens im Grossraum Zürich, nicht negativ beeinflusst.

4) Gibt es anstehende Familienrechtsreformen, die jetzt auf unbestimmte Zeit verzögert sind?

Aufgrund des vorübergehenden Aufschubs von Parlamentssitzungen wurde die parlamentarische Abstimmung zur Ehe für alle, also für gleichgeschlechtliche Paare, um ein paar Monate verschoben, konnte zwischenzeitlich aber nachgeholt werden.

Das schweizerische Unterhaus hat am Donnerstag, den 09. Juni, einen Gesetzesentwurf verabschiedet, wonach gleichgeschlechtliche Paare heiraten sollen, die für die Ehefüralle gestimmt haben. In der Gesamtabstimmung wurden beide Neuerungen mit 132 Ja-Stimmen zu 53 Nein-Stimmen bei 13 Enthaltungen angenommen. Zudem verabschiedete die große Parlamentskammer des Nationalrats in Bern eine Vorlage, wonach lesbischen Paaren die Zeugung von Kindern per Samenspende erlaubt werden soll. Die Gesetzgebung wurde nun zur endgültigen Abstimmung in das Oberhaus verlegt.

5) Gibt es, aus Ihrer Sicht, etwas Positives seit dem "Lockdown" zu berichten, vor allem in Bezug auf das Schweizer Familienrecht?

Wir hoffen, dass in Zukunft vermehrt Video-Konferenzen für mündliche Gerichtsverhandlungen mit Parteien aus dem Ausland möglich sein werden. Diese waren bisher aufgrund der Pflicht zum persönlichen Erscheinen gezwungen, auch für nur kurze Befragungen in die Schweiz einzureisen.

Viele Familien berichten, dass der Lockdown sie hat enger zusammenrücken lassen und dass der Lockdown zu einer angenehmen Entschleunigung des Alltags geführt hat, so dass sie dem Lockdown etwas sehr Positives abgewinnen können. Väter wurden dadurch vermehrt in die alltägliche Familienarbeit einbezogen. Insofern ist zu hoffen, dass die Auswirkungen auf das Familienrecht hin zu noch mehr partnerschaftlich gelebten Familienmodellen positiv ausfallen werden.

Im Juni 2020 wurde berichtet, dass die Schwangerschaftsrate im Vergleich zum Juni 2019 um 30% angestiegen sei. Auch dies wohl ein positiver Effekt des Lockdowns...